Der Umbau der Bahnhofslandschaft in den 1980er und 1990er Jahren – nach Bild-Motiven der Kleinstadt Lauda
Die einst sehr engen Wege von Eisenbahn- und Kleinstadtgeschichte gingen seit Beginn der 1980er Jahre immer weiter auseinander.
Die Streckenstilllegungswelle rollte und an den noch befahrenen Strecken wurden immer mehr Bahnhöfe geschlossen und die Gebäude verkauft. Neben den ehemaligen Bahnhöfen entstand ein immer üppiger zuwachsendes Biotop einer Industriebrache aus verfallenden Güterschuppen, rostenden Nebengleisen und Resten des abgestellten Wagenmaterials. Aus dem Blickwinkel der Reisenden hatten die Kleinstädte um die einst blühende Bahnhoflandschaft herum einen unansehlichen, unaufgeräumten und verwilderten Hinterhof bekommen.
Erst in den 1980er Jahren änderte sich daran etwas. Der Grund war eine Umstellung auf den Gleisen. Die bisher die ganze Nahverkehrslast tragenden Uerdinger Schienenbusse schieden aus dem Beförderungsdienst aus und wurden durch die neuen türkisblau-beigen Ein-Mann-Triebwagen der Baureihe 628.2 ersetzt.
Der Bahngüterverkehr ging stark zurück und wurde teilweise auf für die Bundesbahn fahrende Privatspediteure übertragen.
Mit diesen beiden Maßnahmen waren nicht nur die Bahnhöfe überflüssig, sondern auch die neben dem Bahnhof stehenden Güterschuppen und Abfertigungsanlagen funktionslos geworden. Das Bahnhofsareal konnte also einer neuen Gesamtplanung unterworfen werden, was für die meisten Kleinstädte bedeutete: Abriß der leeren Gebäude und Errichtung eines Busbahnhofes auf dem freiwerdenden Gelände.
Da die Güterschuppen meist neben dem Hauptgebäude an den Gleisen lagen, entstand der neue Busbahnhof in der Regel an einer der Seitenflanken der Bahnhöfe. War der Bahnhof in seinem Haupttrakt größer, weil er ein Knotenbahnhof mit angegliederten Verwaltungsgebäuden war, so wurden diese nicht abgerissen, sondern an örtliche Firmen untervermietet. Dann wurde der Busbahnhof auf einem dafür freisanierten Gelände an der Straßenrückseite des Bahnhofes errichtet.
Der Bahnhof war damit nicht mehr nur ein Umsteigebahnhof für Fahrgäste, sondern auch ein in seiner Funktion "umgestiegener" Bahnhof. Sein Gesicht wurde in den 1990er Jahren faktisch gedreht. Die Gleisanlagen wurden auf zwei (in Knotenbahnhöfen auf vier) Gleise reduziert und der Bahnsteig fast ausschließlich an die durch ein Vordach geschützte Bahnhofrückseite verlegt. Gab es keine Zugbegegnung, so war dies das Hauptgleis.
Die ehemalige Schalterhalle war nur noch Wartesaal und die Fahrkarten gab es nur noch am Automaten. Die ehemals stolze Bahnhofsgaststätte hatte geschlossen oder war zu einer billigen Spielhalle heruntergekommen.
Richtig „abgefahren“ wurde eigentlich nur noch am Busbahnhof, dessen Beförderungsfrequenzen deutlich über der der Eisenbahn lagen. Während auf dem ursprünglichen Bahnhofsgelände aufgrund des ausdünnenden Zugverkehrs rückgebaut wurde, wurde der Bahnhofvor- oder -nebenplatz zu einem mehrbuchtigen Busbahnhof ausgebaut. Der eigentliche Bahnhofsverkehr spielt sich nun auf dem vor oder neben dem Hauptgebäude gelegenen Busbahnhofsgelände ab.
Verfügte das Bahngelände als ehemaliger Bahnknoten noch über einen Lokschuppen, der am Ende der Dampflokzeit Ende der 1970er Jahre nicht gleich zusammen mit der anderen Dampflok-Infrastruktur niedergerissen wurde, so diente er nun als „Hanka“ für die neue Regionalbus-Flotte. Der ländliche Nahverkehr hatte sich Gummiräder übergezogen und rollte auf diesen nicht nur über die Straßen, sondern auch in die gleisfreien ehemaligen Lokschuppen.
Auf den befahrenen Gleisen der Provinz verkehrte weiterhin das alte Rollmaterial der 1960er Jahre: Die pfau-metalliken, in die Jahre gekommenen Silberlinge im Vorspann einer 216er- oder 218er-Diesellok und auf den regionalen Hauptstrecken die 110er- oder 141er-E-Lok mit aus dem Fernverkehr ausrangierten oceanblau-beigen D-Zug-Garnituren. Die benutzten Wagen dienten zur Abschreckung der Fahrgäste, die diese offene Botschaft auch als solche verstanden.
Das Fahrgastaufkommen sank und der regionale Bahnverkehr reduzierte sich auf vier Funktionen: Den Zubringerverkehr zu den Fernbahn-Knotenpunkten, die regionale Schülerbeförderung, die infrastrukturelle Flankierung des Fahrrad-Tourismus-Verkehrs und die Vorhaltung der Strecken für militärische Transporte, während die alte Hauptfunktionen des regionalen Güter- und Pendlerverkehrs immer mehr an Bedeutung verloren.
Der Rückbau der Bahn erfolgte streckenweise. Seine Stationen lauteten, "Parallelverkehr" von Bus und Bahn, "Schienenersatzverkehr" durch die roten DB-Busse und endete beim heute vorherrschenden, durch landkreiseigene Beförderungsgesellschaften in der Kooperation mit privaten Busunternehmen organisierten "Straßen-Busverkehr", deren Rückgrat heute überall die von der Bahn auf den Bus umgeleitete Schülerbeförderung ist.
Erst mit der Bahnreform 1994 zeichnete sich eine Wende ab. Gestützt auf neue Verträge der Deutschen Bahn mit den Bundesländern wurde das Wagenmaterial modernisiert und der provinzielle "Fern"Verkehr im Regional-Express-2-Stunden-Takt zwischen den Kleinstädten eingeführt. Dafür wurde vorher alle regionalen Hauptstrecken vom D-Zug und Inter-Regio-Verkehr geräumt.
Die provinzielle Kleinstädte wurden in der Fläche vom direkten Fernverkehr abgekoppelt und nur noch bei bahnstrategisch wichtigen Schnittpunkten war ein Haltepunkt zum Inter-Regio- und heutigen Inter-City-Verkehr noch möglich. Eher peripher- und im Schatten der DB-Strategen gelegene Kleinstädte hatten nur über eine Privatisierung des Schienenverkehrs eine Chance, Anschluß zu halten. So gründeten sich in vielen Regionen wieder regionale Länderbahnen, die die Bahngeschichte vor der Gründung der Deutschen Reichbahn Gesellschaft in den 1920er Jahren kannte. Die landkreis-subventionierte Bahnregionalisierung war die einzige Chance nicht eisenbahn-politisches Abstellgleis zu werden.
Auf den noch nicht ganz zugewachsenen aber für den Regelverkehr aufgegebenen Nebenstrecken tummeln sich seit zwei Jahrzehnten die Dampflokfreunde um in einer bahntechnisch stehengebliebenen Landschaft mit echten Handweichen, Flügelsignalen aus der Länderbahnzeit und alten Schalterhäuschen die eiserner und dampfende Eisenbahnzeit nachzuspielen. Wer hätte gedacht, dass die in der Nachkriegszeit eher unbeliebte Dampfepoche einmal zu einem Touristenmagnet werden würde. Vielfach entdecken einige Provinzler erst jetzt, was sie dieser Technik aus Dampf und Stahl für die Entwicklung ihrer Regionen zu verdanken haben, was die Eisenbahn industrie- und kulturpolitisch für die Entwicklung der Kleinstädte bedeutete.
Dieser Artikel von Albert Herrenknecht (Boxberg-Wölchingen) ist zuerst 2004 in der Online-Zeitschrift (www.pro-regio-online.de) Heft Nr. 2 (S. 63-65) erschienen. Da Lauda die Bildkulisse für die Beschreibung des Bahn-Strukturwandels in den ländlichen Kleinstädten war, erschien der Artikel auch in der Juliäumsausgabe „150 Jahre Eisenbahn in Lauda (1866-2016)“, der Schriftenreihe „Die Brücke“ Nr. 15 (2016), S. 22-24. Das Heft kann für 7,50 EUR bestellt werden beim: Heimat- und Kultuverein Lauda e.V., Werner Hellinger (hellinger@werner.tf).
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